Eine Reise nach Marokko

Agadir ist den meisten bekannt als beliebter Urlaubsort mit Sonne, Strand und Meer. Die meisten Touristen verbringen ihre zwei Wochen wohl verdienter Abkehr vom Alltag hinter den Mauern der Hotels und am hoteleigenen Strand, all-inclusive, weit entfernt von jeglichem, was das Land ausmachen könnte. Interessierter nehmen einen begleiteten Ausflug in das drei Stunden entfernte Marrakech oder auch nach Casablanca in Kauf. Marokko bietet jedoch so viel mehr – spektakuläre, abwechslungsreiche Landschaften, eine faszinierende Kultur und lange Geschichte.

Aber ein Blick über die Hotelmauern fällt auch unweigerlich auf weniger idyllische Bilder. Straßenhunde. Sobald man in die Nähe von Dörfern oder Städten kommt, sind sie da. An jeder Ecke. In den Innenstädten, am Strand, am Stadtrand. Oft abgemergelt, krank, verletzt. In den ländlicheren Gegenden können sie sehr scheu sein, halten sich aber immer in der Nähe der von Ansiedlungen auf, um sich von den Abfällen der Menschen zu ernähren. Ich dachte, ich wäre vorbereitet auf die Situation, aber das Ausmaß war auch mir nicht bewusst. 

Tierschutz vor Ort

Beim Auslandstierschutz sollte immer oberste Priorität sein, die Situation vor Ort nachhaltig zu verbessern. Das muss zum einen durch umfangreiche Kastrations-/Impfaktionen geschehen, um die Zahl der Tiere einzudämmen und der Tollwut Herr zu werden. Zum anderen ist Aufklärungsarbeit wichtig, um ein Umdenken bei der Bevölkerung zu bewirken. Letzteres ist sicherlich das schwierigste und kann nur durch Menschen geschehen, die mit Einfühlungsvermögen und das nötige Wissen um die Kultur agieren. In Marokko ist dies Michèle Augsburger. In Agadir als Kind italienisch- und französisch-stämmiger Eltern geboren und aufgewachsen, weiß sie wie sie behutsam mit den Behörden umgehen muss, um gemeinsam und Schritt für Schritt eine Veränderung im Land zu erreichen. Michèle gab uns eine Woche lang die Möglichkeit, Einblicke in ihre Arbeit und die Situation zu bekommen.

Die Tier-Oase von Agadir

Nach einem Arbeitsleben in der Schweiz nach Marokko zurückgekehrt, hatte sie sich mit ihrem Mann ein kleines Paradies erschaffen, ein Bungalow mit wunderschönem Garten und Swimming-Pool am Stadtrand von Agadir. Ihre Liebe zu den Tieren ließ sie Hunde und Katzen aufnehmen. Touristen brachten ihr Fundtiere mit der Bitte um Hilfe. Weitere nahm sie auf, um sie vor den Tötungsaktionen der Behörden zu bewahren, wenn mal wieder eine „Säuberungsaktion“ anstand, insbesondere vor der Touristensaison. Andere waren zu krank, um weiter auf der Straße überleben zu können. Katzen braucht man nicht einladen, sie kommen ganz von alleine, um die Vorzüge dieser Stätte mit Zuflucht und Futter zu genießen. So wurde aus dem Traumzuhause für den wohlverdienten Ruhestand eine Bleibe für Tiere. 

Beim Besuch schwankt man zwischen Faszination, Bewunderung und Fassungslosigkeit ob der Anzahl der Tiere. Drei Mitarbeiter sorgen dafür, dass das Gelände nicht im Chaos versinkt. Sie leisten eine enorme Arbeit. Die Tiere in Michèles Tieroase sind gepflegt und vergnügt. Ein paar wenige Hunde müssen von der Gruppe getrennt werden, da sie unverträglich sind, aber die allermeisten ehemaligen Streuner sind naturgemäß das Leben im Rudel gewöhnt und können mit ihren Artgenossen so kommunizieren, dass ein friedliches Miteinander trotz der vielen Tiere normal ist.  

Nach dem ersten Begrüßungstrubel kehrt Ruhe ein. Trotz der vielen Tiere kann es erstaunlich still sein, wenn sie zwischen blühenden Bougainvillea und Swimming-Pool im Schatten der Orangenbäumchen liegen und ihren Verdauungsschlaf halten. Die jüngeren balgen in den kühleren Abendstunden miteinander, der ein oder andere lässt sich auch mal die Sonne auf den Pelz scheinen. Ein Paradies, möchte man meinen. Mit über 60 Hunden und mehr als 100 Katzen aber ist die Grenze des Belastbaren auch hier mehr als erreicht.

Nicht nur ihr eigenes Zuhause hat Michèle den Tieren gewidmet, sie übernahm auch ein staatliches Tierheim, das aufgelöst werden sollte. Es hätte den sicheren Tod der Tiere bedeutet.

Die Auffangstation

So gibt es auch noch eine Auffangstation für Hunderte weiterer Hunde. Hier sind auch solche, die als Welpen einer toten Mutter gefunden wurden. Welpen, die man erst einmal von der Straße geholt hat, kann man später nicht mehr auf die Straße entlassen, denn sie lernen nicht das, was ein Straßenhund lernen muss, um dort draußen zu überleben. So bleibt für sie nur noch die Auffangstation. Hier sind sie sicher, aber ein ideales Leben ist es verständlicherweise auch nicht. Michèle kann daher Touristen häufig nur bitten, Welpen, die auf der Straße gefunden werden, aber noch ihre Mutter bei sich haben, auf der Straße zu belassen. So enttäuschend das sein mag. Sie hilft gerne bei der medizinischen Versorgung und der Kastration der Mutter und später der Jungtiere, aber die Platzressourcen sind ausgeschöpft. 

Es ist ein aufreibender, häufig sehr frustrierender Job, der nur allzu oft mit Rückschritten einhergeht. Michèle sorgt dafür, dass Tiere eingefangen, gechippt, geimpft und kastriert werden. Danach werden sie zumeist wieder auf die Straße entlassen. Es wäre gänzlich unmöglich, alle herrenlose Tiere einzusammeln, um sie in Tierheimen aufzubewahren oder nach Europa zu vermitteln.  Letzteres bleibt nur ein paar wenigen vorbehalten, denen sich Touristen annehmen. Vermittlungen innerhalb von Marokko sind so gut wie aussichtslos, wenn man von ein paar wenigen Europäern absieht, die dauerhaft hier leben.

Die Parkplatzhunde

Aber auch Einheimische nehmen sich zuweilen der Tiere auf ihre Weise an. Ein kleines Rudel auf einem Parkplatz in Agadir wird von den Parkplatzwächtern gefüttert. Die Tiere werden geduldet und man beschützt sich gegenseitig. 

Hier mussten wir erleben, dass in Marokko die Kastration eines Rüden ein heikles Thema ist. Unser Plan war es, einen Rüden des Rudels kastrieren zu lassen. Jedoch hatte sich zwischenzeitlich einer der dort arbeitenden Menschen des Tieres angenommen. Er wollte von einer Kastration eines Rüden absolut nichts wissen. Da wir nicht über die Köpfe anderer entscheiden, hatte sich das Thema damit erledigt.

Das Surfer-Paradies Taghazout

Im von Touristen, vor allem Surfern, beliebten Küstenort Taghazout sieht man bereits Auswirkungen der Aktionen der Tierschützer. Viele der hier am Strand und zwischen den Restaurants lebenden Hunde haben den Clip im Ohr, der darauf hinweist, dass sie bereits durch Michèles Organisation kastriert wurden. In diesem Ort werden die Hunde weitestgehend geduldet. Einige der Hunde begleiteten uns friedlich und vergnügt. Sie waren in keiner Weise scheu. Sie werden von Touristen gefüttert. Vor den Restaurants stehen Näpfe mit Trockenfutter und Wasser. Das Leben als Straßenhund muss also nicht zwangsläufig die Hölle darstellen. Es gibt sie auch, die Symbiosen zwischen Mensch und Tier.

In einer Spendenaktion haben wir Geld für die Kastration einiger Hunde aus Taghazout gesammelt. So können diese ohne Nachwuchs zu zeugen, weiter ein Leben am Strand verbringen.

Mein großer Dank geht an Michèle und alle ihre Mitstreiter bei diesem zuweilen aussichtslos wirkenden Kampf gegen das Tierelend, der dennoch immer wieder erstaunliche Lichtblicke bringt. Schritt für Schritt. 

Wer helfen möchte, hier die Links zu den Schweizer Tierschutzvereinen, die in Agadir tätig sind:

Tierhilfe Marokko

Stiftung Tierbotschafter

Und hier zu den Bildern der Reise.

Diese drei traf ich am Stadtrand von Agadir:

Hunde am Stadtrand von Agadir

Es sind viele junge Hunde dabei:

Sie sind überall Teil des Stadtbildes, so wie diese beiden „Beldis“ (für die Region typische Mischlinge):

Dieser Hund am Strand ist bereits stark gezeichnet durch die Mittelmeerkrankheit Leishmaniose. Bei einem so fortgeschrittenen Stadium kann man den Hund nur noch erlösen. Auch eine solche Aufgabe übernehmen Tierschützer, um dem Tier weiteres Leid zu ersparen.

Am Stadtrand sind die Hunde scheuer, aber sie halten sich dennoch immer in der Nähe der Menschen auf:

 

Ein Passant trat nach der friedlich am Hafen liegenden Hündin, wohl um mir zu zeigen, was er von mir und meinem Fotomotiv hielt.

Die Hunde auf dem Parkplatz vor dem Kino in Agadir:

Am Strand von Taghazout, wo die Hunde vielfach geduldet werden und aufgeschlossen und friedlich mit den Menschen zusammen leben:

Im großen Auffanglager von Michèle sind die Hunde zumindest sicher und mit fürsorglichem Menschenkontakt:



Es gibt auch einige traumatisierte Hunde:

In der Oase von Michèle: